Kurz bevor die Russen am 24. Februar in der Ukraine einmarschieren, ist im Leben von Yuliia Yelahina schon einiges durcheinander geraten. Die Ehe der 25-Jährigen ist gescheitert, seit ein paar Tagen hat sie die Scheidungsdokumente in der Tasche. Sie ist schwanger. Ihre Wohnung in Sumy im Nordosten der Ukraine hat sie aufgegeben. Ein Pole-Dance-Studio, das sie dort als Trainerin betrieb, versucht sie zu verkaufen. Dnipro, die große Metropole rund 400 Kilometer südlich, soll ihr neuer Lebensmittelpunkt werden. Dort ist sie ins Haus ihrer Eltern zurückgekehrt.
Sie sucht ein Stück Normalität. Vier Tage, bevor die ersten Bomben fallen, betreut sie eine Gruppe junger Tänzerinnen, bei einem Wettbewerb in Kiew. “Sie waren alle erfolgreich”, erzählt sie später. Stolz zeigt sie Fotos, die sie mit ihrem Handy gemacht hat. Und auch sie selbst feiert einen Erfolg:
Sie wird als erfolgreichste Trainerin der Veranstaltung geehrt. Dann beginnt der Krieg.
Zunächst versteht sie gar nicht richtig, was los ist. Sie hat einen Kontrolltermin beim Arzt, aber sie geht gar nicht mehr hin. Die ganze Familie bleibt zu Hause. Nur dort erscheint es ihnen noch sicher. Dass sie Sumy verlassen hat, stellt sich nun als Glück heraus. Die Region im Nordosten der Ukraine gehört zu den ersten Gebieten, die die russischen Soldaten besetzen.
In Dnipro ist die Front noch ein Stück weit entfernt, aber wegen der Luftangriffe ist die Lage auch dort angespannt. Und die Nerven liegen blank. Yuliias Vater drängt seine schwangere Tochter zur Flucht. “Geh nach Deutschland”, sagt er. Aber sie will nicht: “Ich bin immer noch hier zu Hause”, sagt sie. Fast täglich kommt es zum Streit. “Ich geh’ mit meiner Mutter”, sagt sie schließlich. Und die Mutter sagt: “Ich gehe nicht ohne den Vater.”
Dann rufen Freunde von Yuliia an, die nach Polen geflohen sind. Das gibt den Ausschlag. Die junge Frau steigt in einen Flüchtlingszug nach Lwiw in der Westukraine. Einen Rucksack und eine Tasche mit dem Nötigsten hat sie dabei – zwei Jeans, T-Shirts, Pullover,
Unterwäsche, Laptop-Computer und eines ihrer Sportkostüme. Das muss reichen. Im vollkommen überfüllten Zug trifft sie eine junge Frau, die nur noch besitzt, was sie am Körper trägt und nur ihre Papiere und ihre Katze mitgenommen hat. “Meine eigene Fluchtgeschichte ist nicht tragisch”, meint Yuliia, als sie das erzählt.
Im Zug bekommt sie sogar einen Liegeplatz in einem Schlafwagen. Die Flüchtenden sind lange unterwegs. Fast 24 Stunden fährt der Zug. Weil es Luftangriffe gibt, muss er Umwege nehmen. Einmal gibt es einen Alarm.
Der Zug stoppt mitten auf der Strecke. Alle Lichter gehen aus.
Auch Handys müssen ausgeschaltet werden. Die komplette Dunkelheit soll die Passagiere vor einer Attacke schützen.
In Lwiw helfen Kontakte weiter. Sie übernachtet bei einem Freund ihres Vaters. Morgens um 4 Uhr schrillen Sirenen. Die Flüchtlinge sind schockiert. “Wir dachten, Lwiw sei ein sicherer Ort. Aber kein Platz in der Ukraine ist mehr sicher.” Bekannte bringen Yuliia mit dem Auto nach Polen. Einen Monat bleibt sie dort. Sie ist niedergeschlagen. Scheidung, Flucht und Perspektivlosigkeit machen sie zunehmend depressiv.
Schließlich vermittelt ihr Vater über einen Freund einen Kontakt zu Andre Volke nach Wolfenbüttel. Hier lebt sie in einer Wohngemeinschaft mit einer anderen Frau. Sie freut sich auf die Geburt ihres Kindes.
Und Schritt für Schritt fasst sie auch beruflich wieder Fuß: In Wolfsburg und Braunschweig hat sie bereits Poledance-Workshops gegeben.
Wir organisieren Unterkünfte, Veranstaltungen und vieles mehr für Flüchtlinge aus der Ukraine. Viele Familien benötigen ein neues Heim. Wir geben den Ukrainerinnen und Ukrainern hier eine Plattform um ihre Geschichten zu erzählen.
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