Gesichter der Ukraine

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Rostyslav Hrebiniak

Charkiw

Ukraine Map

Der Tenor singt im Prime-Orchestra für die Ukraine

Musik bestimmt Rostyslav Hrebiniaks Leben. Der 30-Jährige ist Profimusiker. Er singt als Tenor im Prime Orchestra Charkiw. Außerdem leitet er eine Musikschule in der 1,5 Millionen-Stadt im Nordosten der Ukraine. Bald soll die Frühjahrstournee des Orchesters starten. Eine schöne Perspektive.

Am 24. Februar nachts wird sie von Explosionen zerstört. In Charkiw detonieren Bomben, Raketen schlagen in Wohnhäusern ein. Der Lärm reißt auch Rostyslav aus dem Schlaf. Er rennt hinaus auf die Straße. Dort trifft der 30-Jährige Nachbarn, die genauso schockiert sind wie er und versuchen zu verstehen, was geschieht: Der Krieg ist da.

„Ich hatte nie geglaubt, dass im 21. Jahrhundert ein friedliches Land einfach überfallen wird“, sagt Rostyslav. Als die Russen ihr Militär an der nahen Grenze aufmarschieren ließen, hat er sich allerdings trotzdem ein wenig vorbereitet und mit Freunden gesprochen, die in einem Haus mit Keller leben. Das verspricht immerhin ein wenig Schutz. Rostyslav fährt noch am gleichen Tag dorthin. Zu dritt kaufen sie Lebensmittel ein und stehen in langen Schlangen an, um noch mehr Geld bei der Bank abzuheben.

Charkiw wird täglich Ziel von Angriffen. Meist werden Randbezirke der Stadt getroffen. Nach ein paar Tagen rückt sogar russisches Militär in die Stadt vor. Rostyslav und seine Freunde basteln Molotow-Cocktails, um sich zu verteidigen, aber dann drängen ukrainische Soldaten die Angreifer wieder zurück.

Anfang März werden die Luftangriffe heftiger. Die Russen beschießen zentrale Gebäude in der Stadt. Die drei Freunde harren in der Wohnung aus, weil die Kellerräume überfüllt sind.

Die Druckwellen der Explosionen sind so heftig, dass der Putz von der Decke fällt.

Trotzdem bleibt Rostyslav in Charkiw. Er engagiert sich für die Verteidigung der Stadt. Gemeinsam mit den Freunden kocht er für die ukrainischen Soldaten. Filme im Internet zeigen, wie er gemeinsam mit einer Gruppe die Notversorgung nach Schussverletzungen übt.

„Wir haben gelernt, mit dem Krieg zu leben“, sagt er.

Aber dann gibt es für das Orchester andere Pläne. Die Musiker sollen auf einer Tournee im Ausland für die Sache der Ukraine werben. Leicht umzusetzen ist die Idee nicht. Viele Musiker des Orchesters haben Charkiw bereits verlassen und sind in den Westen der Ukraine geflüchtet. Manche haben nicht einmal ihre Instrumente gerettet. Der Tourstart wird auf Ende April verschoben. Dann sollen sich die Musiker in Lwiw nahe der polnischen Grenze treffen.

21 Stunden fährt Rostyslav im Zug dorthin. Den genauen Weg kann er nicht mehr nachvollziehen. Dafür gab es zu viele Luftangriffe, Stopps und Umleitungen.

Die Tour führt ihn nach Polen und Lettland.

Er spielt in Katowice und Warschau. Als sie am 30. Mai in die Ukraine zurückkehren, ist bereits die nächste Tour organisiert. Diesmal geht es nach Deutschland: Hannover, Einbeck, Osnabrück und die Landesmusikakademiein Wolfenbüttel stehen auf dem Tourplan. Dann soll es in Polen weitergehen, aber dort sind alle Konzerte abgesagt.

Nach dem Auftritt in der Landesmusikakademie steht das Orchester vor dem Aus. Ohne Auftritte wären die Musiker verpflichtet, in die Ukraine zurückzukehren.

Doch in Wolfenbüttel ist der Weg noch nicht zu Ende. Andre Volke und Henning Kramer, die sich in der Ukraine-Hilfe engagieren, beginnen Auftritte zu organisieren, und die Stadt bringt das fast 40 Personen starke Orchester in einem Haus unter. Für Rostyslav und seine Musik gibt es wieder eine Perspektive – zumindest für ein paar Monate.