„Es war kein Schock für mich“, sagt Vadym Siedykh über den Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine am 24. Februar 2022. Die ersten Tage habe er gar nicht realisiert, was passiert.
Vadym stammt aus der Ostukraine, aus Kurachowe, einer 20.000 Einwohner-Stadt, die nur wenige Kilometer von Donezk entfernt liegt. In der Region gehört der Krieg seit Langem zum Alltag. Seit 2014 wird dort gekämpft, seit russische Separatisten das Gebiet aus der Ukraine herauslösen wollen. Immer wieder Gefechte, immer wieder sind Schüsse zu hören.
Ende Februar wird es deutlich schlimmer, erzählt der 39-Jährige, aber erst durch die Nachrichten habe er erfahren, dass der große Angriff auf die ganze Ukraine begonnen hat.
Schnell nimmt die Gewalt neue Dimensionen an. Kurachowe wird zum Kriegsschauplatz. Zeitweise liegt die Stadt nur wenige Kilometer von der Front entfernt. Für die Menschen, die in der Industriestadt ausharren, werden die Bedingungen unerträglich, erzählt Vadym: „Es gab kein Wasser mehr, kein Essen und auch keine Getränke. Auch vor den Geldautomaten der Banken standen die Menschen in Schlangen. Aber es gab auch kein Geld mehr. „Es wurde immer schlimmer. Es war der langsame Tod der Stadt.“ Die Stadt sei
fast komplett eingekesselt gewesen. Die russische Armee habe nur einen kleinen Fluchtkorridor gelassen. Die Einwohner drängten aus der Stadt.
40 Tage hält Vadym es aus, dann beschließt auch er zu fliehen. Als er in den Bus nach Kramatorsk steigt, hat er einen Koffer, einen Rucksack und ein Paket dabei. Ein überfüllter Flüchtlingszug bringt ihn weiter nach Lwiw in der Westukraine. In der Stadt nahe der polnischen Grenze kennt er sich aus. Zwei Jahre hat er dort gelebt und in einem Zentrum zur Betreuung Suchtkranker gearbeitet.
Wohnungen sind knapp in Lwiw.
Die Stadt ist seit Beginn des Krieges zu einer Drehscheibe der Flüchtlingsströme geworden. Vadym kommt für einige Zeit in einem Zimmer eines Studentenwohnheimes unter. Vier Monate kann er dort bleiben. Dann wird das Wohnheim jedoch wieder für Studenten benötigt und die Flüchtlinge müssen ausziehen.
Vadym hat eigentlich kein Ziel. Weil er in Lwiw aber Freiwillige aus Deutschland getroffen hat, die Kleidung für Flüchtlinge brachten, beschließt er, nach Deutschland weiterzureisen.
Für den 39-Jährigen ist es ein Abenteuer, das ihn verunsichert. Er war noch nie im Ausland, er hat keinen Reisepass, er spricht keine Fremdsprache. Zudem kann er sich nur eingeschränkt selbst helfen. Bei einem Arbeitsunfall vor zwei Jahren verlor er den halben linken Arm und einige Finger seiner rechten Hand.
Am Bahnhof reiht er sich wieder in den großen Flüchtlingsstrom ein.
Zunächst geht es in die polnische Stadt Przemysl. Nach einer Woche fährt er weiter – über Berlin bis zur zentralen Aufnahmestelle in Hannover. Von dort wird er Wolfenbüttel zugewiesen.
„Die Reise war nicht so schlimm“, sagt er, als er in der Flüchtlingsunterkunft im „Komm“ von seiner Flucht erzählt: „Am schrecklichsten war der Beginn des Krieges.“
Fast alle Einwohner haben Kurachowe verlassen, erzählt Vadym. Ob er jemals dorthin zurückkehrt, lässt er offen. Eine Prothese hätte er gerne, sagt er: „Und ich würde gerne lernen, hier etwas zu machen.“
Wir organisieren Unterkünfte, Veranstaltungen und vieles mehr für Flüchtlinge aus der Ukraine. Viele Familien benötigen ein neues Heim. Wir geben den Ukrainerinnen und Ukrainern hier eine Plattform um ihre Geschichten zu erzählen.
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